Der Chemiker und Toxikologe Univ.-Prof. Dr. Rainer Schmid leitete die Abteilung Toxikologie und Medikamentenanalytik am AKH Wien, war Mitglied der Nationalen Anti Doping Agentur und ist in der Drogenprävention der Stadt Wien tätig. Seit 2017 ist Prof. Schmid wissenschaftlicher Leiter bei Flowery Field. Wir haben mit Schmid über:
- die Hürden der Cannabisforschung,
- vorliegende Ergebnisse klinischer Studien und
- den Effekt der Cannabis-Liberalisierung ab 21. Jahren in Colorado gesprochen.
In den letzten Jahren wurde etwa von der deutschen Techniker Krankenkasse (TK) die unzureichende Studienlage zu Cannabis kritisiert. Wie beurteilen Sie die Datenlage?
Der Vorwurf fehlender klinischer Studien ist daher absurd. Durch die rigide Formulierung der UN-Drogenkonventionen wurde Cannabis stigmatisiert und denselben Einschränkungen wie Heroin unterworfen. Cannabis wurde als verbotene Pflanze der medizinische Nutzen abgesprochen. Es war bis auf wenige Ausnahmen bis vor kurzem weltweit gar nicht möglich, Cannabis offiziell und systematisch in einer bestimmten Sortenvielfalt nach wissenschaftlichen Kriterien zu züchten und für Forschung und Medizin zur Verfügung zu stellen! Besonders ärgerlich ist aber, dass der Bericht eine unzureichende Studienlage bei bestimmten Indikationen mit einer mangelnden Wirksamkeit verwechselt. Dem stehen etwa zahlreiche positive Erfahrungsberichte von Ärzten und Patienten gegenüber. Wenn klinische Studien bei einer bestimmten Indikation bisher nicht durchgeführt wurden, bedeutet das nicht, dass Cannabis dabei unwirksam ist.
Was macht klinische Studien zur Wirksamkeit der Arzneidroge Herba Cannabis so schwierig?
Es war bis etwa vor einem Jahr in den USA nach nationaler Gesetzeslage verboten, für wissenschaftliche Studien eine andere Cannabissorte einzusetzen, außer jener, die gerade zufällig von einer amerikanischen Süd-Staaten-Universität bereitgestellt werden durfte. Die Wirkstoffzusammensetzung der Cannabispflanze variiert aber ganz erheblich je nach Sorte. Sorten mit einem hohen Wert an Tetrahydrocannabinol (THC) werden in der Medizin ganz anders eingesetzt als Sorten mit wenig THC und einem hohen Anteil an Cannabidiol (CBD). Man kann die Wirkstoffe einer Heilpflanze nicht in das Untersuchungsschema von synthetischen Monosubstanzen pressen.
Wie sehen Sie hier die weitere Entwicklung?
Einige Cannabinoide können bereits extrahiert und in gereinigter Form hergestellt werden, das erleichtert wiederum Forschung und Anwendung. Durch klinische Studien belegt ist die Wirkung als Schmerzmittel, Antiepileptikum, Appetitanreger und als onkologisches Präparat zur Krebsbegleittherapie. Man kann sich vorstellen, wie der heutige Wissenstand in der pharmakologischen Forschung aussehen würde, hätten für Herba Cannabis ähnliche Bedingungen wie für die medizinische Anwendung vergleichbarer Heilpflanzen gegolten. Fest steht, wir brauchen noch mehr klinische Studien, um die medizinische Indikation der einzelnen Substanzen der Cannabispflanze zu erforschen. Dazu werden jetzt trotz erschwerter gesetzlicher Bedingungen weltweit laufende neue Studien injiziert.
Ein oft erhobener Vorwurf lautet: Cannabis löst Psychosen aus.
Fakt ist, dass nur Menschen mit einer Prädisposition zu psychischen Erkrankungen davon betroffen sein können. Wird Cannabis in therapeutischer Dosierung eingenommen, werden keine physiologischen Funktionen gestört oder Organe geschädigt.
Gibt es eine Zunahme an Cannabis assoziierte psychische Probleme bei Jugendlichen?
Dazu liegen keine eindeutigen epidemiologischen Daten vor. Soviel ich aus der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychologie des AKH erfahren habe, gibt es eine Zunahme bei Cannabis assoziierten psychischen Probleme bei Jugendlichen in Form von Angststörungen, Panikattacken und psychotischen Ereignissen. Das Problem ist aber, dass dazu keine statistischen Zahlen vorliegen. Die Zunahme dürfte aber primär auf die höhere Konsum-Prävalenz und das potentere Cannabis zurückzuführen sein, sprich dass sehr THC-haltige Cannabisorten im Umlauf sind, die in einer sehr hohen Dosierung ohne Maß und Ziel konsumiert werden.
Blicken wir in die USA. Dort haben Washington DC. und Colorado 2014 Cannabis ab 21. Jahren legalisiert, inzwischen sind weitere Bundesstaaten hinzugekommen. Gibt es dazu bereits Daten?
Die Legalisierung löste in Colorado sogar sinkende Prävalenzzahlen bei Jugendlichen aus. Mir wurde bisher von keinem Experten bestätigt, dass es eine Zunahme an Cannabis assoziierten Schizophrenien gibt. Eine eindeutige Kausalität von einer Zunahme an Schizophrenien durch Cannabis existiert nicht – auch wenn regelmäßig das Gegenteil behauptet wird. Gäbe es eine wissenschaftlich belegte Zunahme, gäbe es auch keinen weltweiten Legalisierungstrend.
Ist die jetzige Cannabis-Drogenpolitik gescheitert?
Aus Sicht zahlreicher Richter, Kriminalbeamter und Suchtmittelexperten ist das Cannabisverbot gescheitert, der erwünschte Erfolg blieb aus. Etwa 30 Prozent der Österreicher konsumieren in ihrem Leben Cannabis – trotz Verbots. Neugierde ist der wichtigste Faktor, Substanzen auszuprobieren. Die Illegalisierung bewirkt eine Tabuisierung. Beispiel: In Holland konsumieren weniger Jugendliche Cannabis als in Deutschland. Schlüsselfaktor ist ein sachlicher Umgang mit Cannabis. Kanada hat Cannabis für Erwachsene komplett legalisiert und zugleich den Jugendschutz verschärft. Die Niederlande, Tschechien und Portugal haben mit einer Entkriminalisierung von Drogen gute Erfahrungen gemacht. Aufklärung und ein sachlicher Umgang mit Cannabis sind hier Schlüsselfaktoren, während die Illegalisierung und eine Verbotspolitik nur eine Tabuisierung bewirkt.