Schmid: Wir erleben eine Mischung aus Willkür und versteckter Drogenpolitik
In Österreich ist eine Zunahme an Führerscheinentzügen wegen Cannabis zu verzeichnen. Laufend werden neue Rekordwert zu Drogendelikten am Steuer verzeichnet. Doch wie viele Unfälle werden tatsächlich jährlich durch Cannabiskonsum am Steuer verursacht? Dazu liegt keine einzige Studie vor. Die Ablenkung durch das Handy am Steuer ist mittlerweile gut erforscht, zu Cannabis liegt hingegen keine Datenlage vor. Der Toxikologe Univ.-Prof. Rainer Schmid vermutet, dass hier ein Problem kreiert wird, dass es nicht gäbe, wenn sich der Gesetzgeber zur Einführung eines zulässigen Grenzwertes durchringen könnte. Schmid leitete die Abteilung Toxikologie und Medikamentenanalytik am AKH Wien und war Mitglied des Internationalen Drogenkontrollrats der Vereinten Nationen. 1997 konzipierte der Toxikologe das Wiener Drogenpräventionsprojekt „check it!“ als wissenschaftlicher Koordinator. Wir haben mit dem Chemiker über zulässige Grenzwerte und effiziente Mittel der Schadensminimierung gesprochen.
Die wichtigsten Punkte im Überblick:
- Gelegentliche Cannabiskonsumenten sind ihren Führerschein schneller los als alkoholisierte Autofahrer.
- In Deutschland gilt ein Grenzwert von einem Nanogramm THC im Blut, in der Schweiz sind drei Nanogramm THC im Blut zulässig, in Colorado wurde ein Wert von fünf Nanogramm THC im Blut als Grenzwert für eine Beeinträchtigung festgelegt.
- In Österreich herrscht hingegen null Toleranz. Sobald Spuren von THC im Blut nachweisbar sind, gilt das Verschuldensprinzip: Man wird bereits durch den Konsum einer illegalen Droge straffällig.
- Schmid plädiert für einen Wert von vier bis fünf Nanogramm THC im Blut als Grenzwert für eine Beeinträchtigung im Straßenverkehr. „Alles andere kommt einer Mischung aus Willkür und versteckter Drogenpolitik sehr nahe – und beides hat im Straßenverkehr nichts verloren.“
Wie lange ist die statistische Wirkung von Cannabis nachweisbar, und welche Schlüsse leiten sich daraus für eine tatsächliche Beeinträchtigung ab?
Wie lange man nach dem Cannabiskonsum beeinträchtigt ist, hängt von der Ausgangsmenge, der Cannabissorte und der Dauer des akuten Konsums ab. Im Durchschnitt sollte es nach sechs bis acht Stunden bei mittlerer Konsumdosis vorbei sein. Dazu gibt es inzwischen eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen. Anders ist die Situation bei chronischem Cannabiskonsum zu bewerten. Bei regelmäßigem Cannabiskonsum akkumuliert das THC im Körper, das bedeutet, der Wirkstoff wird nicht so schnell ausgeschieden und verursacht eine längere Wirkung. Grundsätzlich verändert jede psychoaktive Substanz wie Cannabis und Alkohol die Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsfähigkeit. Es steht völlig außer Frage, dass man nach akutem Konsum, insbesondere bei chronischem Cannabiskonsum, nichts hinter dem Steuer verloren hat.
Wie lässt sich das Ausmaß einer Beeinträchtigung seriös abschätzen?
Das können geschulte Ärzte und Psychologen, so wie in der Straßenverkehrsordnunggeregelt, durch psychologische Reaktionstests abschätzen. Darüber hinaus wird die Menge von THC im Blut analysiert. Hier geht man von der Annahme aus, dass jede Wirksubstanz nur dann eine akute pharmakologische Wirkung ausüben kann, solange sie sich noch im Körper befindet und im zirkulierenden Blut nachweisbar ist. Mehrere Studien haben bereits den Zusammenhang zwischen akuter Menge von THC im Blut und einer Beeinträchtigung untersucht. Seriöse Studien kommen immer wieder auf einen Wert von circa vier bis sechs Nanogramm THC im Blut, ab dem die psychoaktive, beeinträchtigende Wirkung von Cannabis statistisch nachweisbar ist.
Ab welchem Blutspiegel lässt sich keine Beeinträchtigung mehr feststellen?
Unter einem Blutspiegel von zwei bis drei Nanogramm THC im Blut lassen sich keine statistisch signifikanten Ergebnisse mehr beobachten. Studien kommen zu dem Ergebnis, dass man bei einem Blutspiegel ab fünf Nanogramm THC im Blut von einer Beeinträchtigung entsprechend etwa 0,05 bis 0,08 Prozent Alkohol im Blut ausgehen kann. Nicht zufällig haben mehrere Bundesstaaten in den USA, in denen Cannabis legalisiert wurde, fünf Nanogramm THC im Blut als gesetzlichen Grenzwert einer Beeinträchtigung definiert.
Sechs bis acht Stunden nach dem Cannabiskonsum liegt damit keine signifikante Beeinträchtigung mehr vor?
Nach dem einmaligen Rauchen eines Joints mit mittlerem THC-Gehalt steigt der THC-Gehalt im Blut und damit die psychoaktive Wirkung sehr schnell an. Die Kurve sinkt jedoch relativ rasch wieder und liegt nach sechs bis acht Stunden bei den meisten Versuchspersonen im Bereich von ein bis zwei Nanogramm THC im Blut. Fünf Nanogramm THC im Blut werden in der Regel nach zwei bis drei Stunden durchschritten. Ein Problem entsteht jedoch, wenn THC mit Alkohol konsumiert wird. Cannabis mit Alkohol, selbst in nur geringen Mengen konsumiert, erhöht die Beeinträchtigung deutlich. Hier braucht es ebenso eine gesetzlich objektive Regelung.
Wie ist die Situation bei chronischen Cannabiskonsumenten zu bewerten?
Bei mehreren Joints täglich findet man häufig lange positive Speichelproben. Zudem kann ein niedriger THC-Blutspiegel bis zu mehreren Wochen nachgewiesen werden. Damit stellt sich die Frage, ob ein bis zwei Nanogramm THC im Blut eines chronischen Cannabiskonsumenten, sprich mehrere Tage nach dem letzten Joint, noch ein Indikator für eine Beeinträchtigung sind. Oder wird hier versucht, Cannabiskonsumenten zu isolieren? Das wäre so, als würde man bei einem Spiegeltrinker über längere Zeit Alkoholmarker im Blut dokumentieren und ein minimales Vorhandensein als Argument für eine Beeinträchtigung verwenden. Politisch mag das populär sein, ob es den Betroffenen gegenüber fair ist, ist eine andere Frage.
Was schlagen Sie daher vor?
Grundsätzlich gilt: Nach akutem Alkohol- und Cannabiskonsum hat man nichts hinter dem Steuer eines Fahrzeugs zu suchen. Für Cannabis braucht es aber – wie für Alkohol – Grenzwerte, die sich an der medizinisch-pharmakologischen Evidenz orientieren. Hier sollte ein Wert von vier bis fünf Nanogramm THC im Blut als Grenzwert für eine Beeinträchtigung im Straßenverkehr festgelegt werden. Alles andere kommt einer Mischung aus Willkür und versteckter Drogenpolitik sehr nahe – und beides hat im Straßenverkehr nichts verloren. Es sollte vielmehr um Schadensminimierung gehen. Und Information und Aufklärung waren immer noch das effizienteste Mittel für eine erfolgreiche Schadensminimierung.
In Österreich scheut sich der Gesetzgeber vor der Bestimmung eines Grenzwerts, es gilt null Toleranz.
Es gibt unterschiedliche politische Vorgehensweisen, inwieweit Blutwerte als objektiver Parameter für eine Beeinträchtigung herangezogen werden. Manche Länder halten es mit medizinisch-pharmakologischer Evidenz – so wie einige US-Bundesstaaten –, andere Länder halten es weiterhin mit dem Abstinenzprinzip und nehmen ein Nanogramm THC im Blut oder verzichten überhaupt auf eine Festlegung. Sobald dann Spuren von THC im Blut nachweisbar sind, gilt das Verschuldensprinzip: Wenn es nicht die Wirkung war, dann wird man allein durch den Konsum einer illegalen Droge straffällig. Aber wie fair ist eine solche Vorgehensweise?
Oft werden epidemiologische Studien als Argument für die Null-Toleranz-Haltung herangezogen.
Richtig, sogenannte Verursacherstudien, bei denen nach Verkehrsunfällen ein Cannabisnachweis im Blut bei einem der Unfallbeteiligten als Argument für eine Kausalität herangezogen wird. Das halte ich für unseriös.
Welche Aspekte neben dem Fehlen eines Grenzwerts halten Sie noch für problematisch?
Wenn ein Kfz-Lenker auffällig ist, muss er einem Amtsarzt zur Begutachtung vorgeführt werden. Stellt dieser eine Beeinträchtigung durch Drogen fest, muss eine Blutprobe abgenommen werden, die zur Analyse eingesendet wird. Die Analysendauer beträgt etliche Wochen. In der Zwischenzeit wird der Führerschein abgenommen. Bei einem positiven Ergebnis (es gibt keine Grenzwerte!) erfolgt die Abnahme für sechs Monate sowie Kosten für die Nachschulung. Ist das Ergebnis negativ, muss die Behörde die Analysenkosten tragen. Aus diesem Grund wurde von der Polizei ein Vortestgerät gefordert. Seit dem Frühjahr gibt es in Teilen Österreichs eine Vortestung mit einem Speicheltestsystem. Fakt ist aber, dass dieses System bisher von der Polizei nicht im Realbetrieb evaluiert wurde, sondern nur versuchsweise eingesetzt wird. Die dabei verwendeten Entscheidungsgrenzen sind nicht bekannt, ebenso wenig, welche Drogen überhaupt und in welchem Ausmaß erfasst werden. Diese Vortests beeinflussen aber wiederum, wie befangen oder unbefangen ein Amtsarzt bei seiner Begutachtung agiert. Das ist in einem Rechtsstaat nicht akzeptabel, hier herrscht rascher Handlungsbedarf. Österreich braucht eine klare gesetzliche Regelung nach objektiven, messbaren Kriterien.