Das legale Gras Cannabidiol (CBD) beschert Verkäufern Rekordgewinne und der Polizei Frustration. Was hat diesen CBD-Boom ausgelöst, und mit welchen Risiken ist er derzeit verbunden? Darüber haben wir mit dem Schweizer Cannabisforscher Prof. Rudolf Brenneisen gesprochen. Brenneisen arbeitete als externer Chemiker und Analyst für die US-Drogenbehörde DEA und war von 1998 bis 2014 Forschungsgruppenleiter im Departement Klinische Forschung an der Universität Bern.
Die wichtigsten Themen im Überblick:
- Die Einsatzgebiete von CBD und therapeutischen Wirkungsweisen
- CBD wurde als unwirksam diskriminiert – erst In-vitro-Studien brachten das therapeutische Potenzial von CBD zum Vorschein
- CBD und Epilepsie: Die Resultate der letzten Epilepsiestudie von GW Pharmaceuticals sind so erfolgversprechend, dass in den USA eine Zulassung als Medikament bevorsteht
- CBD sollte ein anerkannter Wirkstoff und apothekenpflichtig sein
Cannabidiol erlebt momentan einen Boom. CBD werden therapeutische Wirkungen gegen Epilepsie, Angststörungen, Schlafstörungen, Übelkeit, Psychose, Depression und laut Laborversuchen sogar gegen Krebs nachgesagt. Was lässt sich derzeit gesichert sagen?
Nach den Daten von Swissmedic kommen als mögliche therapeutische Wirkungen antioxidative, antiinflammatorische, antikonvulsive, antiemetische, anxiolytische, hypnotische und antipsychotische Effekte in Betracht. Nach Einschätzung von Dr. Franjo Grotenhermen (Franjo Grotenhermen, Klaus Häußermann: Cannabis. Verordnungshilfe für Ärzte, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2017, Anm.) kommen folgende Einsatzgebiete infrage:
- Epilepsie, insbesondere Dravet-Syndrom und Lennox-Gastaut-Syndrom
- Angststörungen
- Depressionen
- schizophrene Psychosen
- Entzündungen und entzündlich bedingte Schmerzen
- Bewegungsstörungen wie Dystonie und Dyskinesien
- Übelkeit und Erbrechen
Allerdings liegen derzeit nur wenige kontrollierte Studien vor. Der Cannabisforscher und Pharmazeut Prof. Raphael Mechoulam, der Entdecker des Endocannabinoid-Systems des Nervensystems, hat aber bereits Fakten einer In-vitro-Studie aufgelistet, die die neuroprotektive Wirkung von CBD bei zerebraler Ischämie, Typ-1-Diabetes, Angst, rheumatoider Arthritis sowie bei Krebs zeigen. Seine Kollegin Dr. Teresa Iuvone hat das therapeutische Potenzial von CBD bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, multipler Sklerose und Parkinson betont, mit dem Vorteil des Fehlens psychotroper Nebenwirkungen.
Bei welcher Indikation sehen Sie derzeit das größte Potenzial für Cannabidiol – und ist der aktuelle Hype klinisch gerechtfertigt?
Das aggressive und falsche Patientenhoffnungen schürende Bewerben und Vermarkten von CBD als Medikament unter dem Deckmantel „Nahrungsergänzungsmittel“ oder „Lifestyle-Droge“ ist unseriös. Vielen Aussagen fehlt dabei die wissenschaftliche Basis. Auch wissenschaftlich ungenügend evaluierte positive Patientenerfahrungsberichte sind hier problematisch und verzerren das Bild. Aber: Diese Patientenerfahrungen dürfen nicht ignoriert werden und sollten ein Anstoß für entsprechende klinische Studien sein. Die Hürden sind allerdings Finanzierung und Forschungskooperationen. Nach meiner Einschätzung hat CBD als Nischenplayer dort eine Chance, wo etablierte Medikamente versagen.
GW Pharmaceuticals hat in klinischen Studien mit Kindern positive Ergebnisse von Medikamenten auf Basis von CBD-Extrakten gezeigt. CBD hatte eine positive Wirkung auf bestimmte Formen von Epilepsie wie das Dravet-Syndrom und das Lennox-Gastaut-Syndrom. Wurden die Leistungen von CBD unterschätzt?
Ja, denn CBD ist bis vor wenigen Jahren noch im Schatten des Wirkstoffs THC gestanden und als pharmakologisch unwirksames Faserhanf-Hauptcannabinoid diskriminiert worden. Erst In-vitro-Studien haben die hochkomplexe Pharmakologie und das verkannte therapeutische Potenzial von CBD zum Vorschein gebracht. Mitverantwortlich waren natürlich die berührende Charlotte-Story wie auch der weltweite Medien- und Internetrummel betreffend das Rick-Simpson-Öl.
In den Hanfsorten Cannabis sativa und Cannabis indica finden sich über 80 sogenannte Cannabinoide. Einer dieser Wirkstoffe ist Cannabidiol, kurz CBD. Im Gegensatz zu Tetrahydrocannabinol (THC) wirkt CBD nicht psychoaktiv und euphorisierend, sondern beruhigend.
Während legales Cannabis einen CBD-Gehalt von 10 bis 20 Prozent aufweist und einen Rest-THC-Gehalt von 0,3 bis 0,7 Prozent, liegt der THC-Gehalt von berauschendem Marihuana bei 10 bis 15 Prozent. Anders als CBD ist THC eine psychoaktive Substanz und stellt den rauschbewirkenden Bestandteil der Hanfpflanze dar. THC aktiviert vor allem spezifische Bindungsstellen auf Körperzellen, den sogenannten Cannabinoidrezeptoren. Zur Wirkung von THC liegen bereits valide klinische Daten vor, zu CBD wird derzeit intensiv geforscht.
Weder in der Schweiz noch in einem anderen Land mit vergleichbarer Arzneimittelkontrolle ist ein Monopräparat mit reinem CBD zugelassen. Mit welchen Risiken sind CBD-Produkte verbunden?
Die physische und psychische Toxizität des CBD ist nach bisherigen klinischen Erfahrungen und pharmakologischem Kenntnisstand sehr gering. Die FDA, die strengste Arzneimittelbehörde der Welt, hätte sonst die Studie von GW Pharmaceuticals nicht in einem beschleunigten Bewilligungsverfahren quasi durchgewunken. Dafür sprechen auch kaum beobachtete Nebenwirkungen, und das selbst in sehr hohen therapeutischen Dosen im Grammbereich.
In Deutschland ist CBD ein anerkannter Wirkstoff und apothekenpflichtig. Wäre diese Regelung auch für andere Länder empfehlenswert, und wie ist die Situation in der Schweiz?
In der Schweiz ist seit 2017, nicht zuletzt wegen des CBD-Hypes, die Verwendung von CBD als Monosubstanz in Magistralrezepturen oder Formula-Arzneimitteln nicht mehr möglich. Die bisherige Abgabemöglichkeit über Apotheken wurde zurückgenommen – das halte ich allerdings für einen Fehler und eine Überreaktion der Behörden auf den CBD-Hype. Eine Anpassung an die deutsche Gesetzessituation wäre vor allem für jene Patienten sinnvoll, denen der Zugang zur CBD-Magistralrezeptur vorläufig verwehrt ist.
CBD-Blüten sind teuer, weil die jahrelange Entwicklung dahinter aufwendig ist. Hohe Investitionskosten sind notwendig, um genetisch stabile Pflanzen mit großen Blüten, hohem CBD- und tiefem THC-Gehalt zu entwickeln. Werden am Ende viele Produzenten von der jetzigen „Goldgräberstimmung“ enttäuscht sein?
Auch nach dem vorläufigen Verbot von CBD als Medikament bestehen weiterhin ertragreiche Vermarktungsmöglichkeiten, etwa in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, Nahrungsmitteln, Kosmetika, Pflegeprodukten, Tabakersatzprodukten wie Liquids für E-Zigaretten sowie Duftölen. Conditio sine qua non ist allerdings die Qualitätssicherung durch Produzent und Supplier. In der Schweiz ist zudem laut Betäubungsmittelgesetz der Verkauf von CBD-reichem und THC-armem, also ca. ein Prozent Gesamt-THC enthaltendem Cannabis erlaubt und wird umsatzmäßig dominierend sein.